Theater spielen ist für mich wie in einem Flugzeug zu verreisen. Du bereitest deine Reise vor, planst die kommenden Tage präzise und lässt trotzdem Platz für Improvisationen. Und doch kommt der Moment, wo die Tür des Fliegers sich schließt und du weißt, es gibt kein Zurück mehr.
Meine Atmung wird schneller und Angstschweiß perlt sich auf meiner Stirn in dem Wissen, mich in Kürze in unnatürlichen Höhen zu bewegen und der Situation ausgeliefert zu sein. Und vor jedem Start stelle ich mir die Frage: Was machst du eigentlich hier?
Wie beim Fliegen ist der Moment, bevor sich der Vorhang hebt, der schwerste, bis die Kabinentür sich schließt und es kein Zurück mehr gibt. Doch auf der Bühne bist du den Elementen nicht ausgeliefert. Sobald ich das Rampenlicht betrete und der Feigling in mir gebändigt ist, weil ich jetzt funktionieren muss, beginnt meine Transformation zur Rampensau und alles ist möglich.
Anfangs spielte ich Theater in einer Gruppe namens Pres Vert, Die „Histoires sans paroles“, also Geschichten ohne Worte, kamen mir in den Anfangsjahren in Frankreich sehr entgegen, da meine Sprachkenntnisse eher rudimentär waren. Da spielte ich ein Alien mit Kissen im Gesäß, einen Filmregisseur, einen Zirkusdirektor oder einen Filou, der ein armes Mädchen schwängerte und sich danach aus dem Staub machte.
Vor einigen Jahren wurde ich gefragt, ob ich für ein Straßentheater in Puiseaux nicht im Rahmen einer nachgestellten Zeremonie für die Besiegelung einer Städtepartnerschaft alleine die deutsche Nationalhymne vom Balkon des hiesigen Rathauses schmettern könnte. Seitdem gehört „Il était une fois Puiseaux“ (es war einmal in Puiseaux) zu meinem festen Bestandteil meiner Vorweihnachtszeit.
Für die Aufführungen wird ein Teil der Innenstadt um die Kirche herum, nebst einer alten Schule, dem Rathaus und der Kirche selbst, zur Bühne, wo kurze Episoden aus der Geschichte des Ortes mit einem Augenzwinkern nachgespielt werden. Dazu hat die Gemeinde die Theatergruppe „Le Théâtre des Minuits“ beauftragt, die Aufführungen zu organisieren. Die Kosten trägt die Gemeinde Puiseaux, gemeinsam mit der Region und der EU. Die einzelnen Stücke werden in einer 2 1⁄2 stündigen Dauerschleife aufgeführt, bis die Kirchturmglocken das Ende einläuten.
In einer Pressemitteilung wurde berichtet, dass die jährliche Besucherzahl bei geschätzten 5000 Besuchern liegt. Diese Zahl halte ich für geschöhnt und sie wird vermutlich nur genannt, um die benötigten Subventionen zu erhalten. Der ehemalige Bürgermeister schätzte in einem Gespräch mit mir die Besucherzahl auf 2-3 Tausend ein, was realistischer klingt. Bei einer Einwohnerzahl von 3400 Personen bleibt der Strom an Zuschauern beachtlich.
Gespielt habe ich unter anderem François Ier, einen belgischen Flüchtling im Ersten Weltkrieg (hier musste ich die belgische Hymne singen) und einen russischen Kosaken. Meine schönste Erinnerung ist allerdings eine kleine Rolle, zu der ich keinen Text lernen musste. Ich mimte einen Bodyguard, der verrückte Fans von den VIPs fernhielt. Nach der letzten großen Coronawelle war es eine Wohltat für Körper und Seele, zwei Stunden lang kreischende Fans einzufangen und sich einfach mal wieder gehen zu lassen. Danke für diese Erfahrung.
Das Thema in diesem Jahr lautet, wie sollte es auch in der Vorzeit zu den Olympischen Spielen anders sein, Sport in Puiseaux und findet am 16.12. von 18-20:30 Uhr statt. Wieder werden um die 100 Laiendarsteller erwartet, die mit professionellen Künstlern sich das Rampenlicht teilen. Ein schönes Konzept und auch für deutsche Gemeinden nachahmentswert.
Ich habe ein paar Bilder der letzten Vorstellungen auf meinen Server geladen. (Klick)