Nach einem ruhigen Vormittag, den ich bei meinen Freunden im 20. Arrondissement verbracht habe, mache ich mich um 12:30 Uhr auf den Weg in das Olympische Dorf. Nach meiner eigenen Kalkulation würde ich mein Ziel eine Stunde vor Missionsbeginn erreichen. Tatsächlich gelingt es der Dorfpomeranze an der Metrostation vorbeizulaufen, und ich flaniere lustig die Straße weiter runter.
Ich finde es wohl angenehm, den Leuten bei ihrem Pariser Treiben an diesem sonnigen Samstagmorgen zuzusehen, und genieße den Spaziergang, bis mir der Weg weit vorkommt und doch die Loser-App Maps anwerfe.
Aus überpünktlich wird Just in Time. Die Metro selbst hat so viele Menschen zum Beobachten zu bieten, dass die Fahrt schnell vorbeigeht. Werde mich bestimmt schnell daran gewöhnen.
Mein Handy buhlt regelmäßig um Aufmerksamkeit. Es ist die App der Volontaires, die mich über die diffusen Beschwerden und Probleme meiner Mittstreiter informieren will. Ich beginne, den Ton zu ignorieren.
Mein erster Weg führt mich in das Büro, welches für alle Ehrenamtlichen zuständig ist. Dort lass ich mir nochmal die Prozedur an meinem Handy erklären, um meine Anwesenheit zu bestätigen und damit ich überhaupt ein Anrecht auf eine Mahlzeit bekomme. Danach geht es in das Büro des NOC, um Instruktionen abzuholen. Dort werde ich darüber informiert, dass mein Team der Bahamas erst am folgenden Morgen um 11 Uhr erwartet wird. Mir wird ein Formular in die Hand gedrückt, welches ich auszufüllen habe. Es geht um meinen Führerschein, damit ich eines der Olympiafahrzeuge benutzen darf. Dann wird mir gesagt, ich könne hier warten, bis ich gebraucht werde, was eher nach einem „Mach, was du willst“ klingt. Ich sitze eine Weile an einem Tisch mit weiteren Leidensgenossen, beschließe dann aber, Maria zu kontaktieren. Maria ist Teamleiterin der NOC im Deutschen Haus und ich habe sie auf unserer Schulung hier im Dorf kennengelernt. Seitdem haben wir uns per Webex ein paar Mal geschrieben und sie schlägt vor, zu ihr rüberzukommen. Allzu gerne, denn hier fühle ich mich wie ein sechsjähriges Kind, das von seiner Mutter nicht abgeholt wurde.
Ich verbringe einen Tag als Fünftes Rad am Wagen, denn wirklich gebraucht werde ich auch hier nicht. Die meisten Athleten werden noch erwartet und die Vorarbeiten sind größtenteils abgeschlossen. Die Ehrenamtlichen vor Ort betteln förmlich bei den Deutschen um Beschäftigung. Lediglich eine Stunde lang fühle ich mich wirklich nützlich, als wir Kartons verladen, die für die deutschen Schützen vorgesehen sind und nach Chateauroux gebracht werden sollen. Ansonsten verbringe ich die meiste Zeit mit charmanten jungen Damen, die mich freundlicherweise tolerieren, aber sehr nett zu mir sind. Als ich mich anbiete, einen Drucker in der Eingangshalle zu reparieren, hole ich mir schnell eine Kanadierin hinzu, da die wichtigen Informationen auf Englisch sind. Sie sträubt sich zunächst, da sie sich für technisch unversiert hält und Andere bereits versucht haben, die Kiste zum Laufen zu bringen. Wer lesen kann, ist doch im Vorteil, und Minuten später spuckt der Apparat ein Foto aus. Die Zukunft ist weiblich.
Zwischendurch schlendern ein paar südamerikanische Damen bei uns rein, die genauso lost sind wie ich, weil ihr Team am nächsten Tag eintrudelt. Hinter vorgehaltener Hand vermitteln sie mir, dass es sich um Belarus handelt. Ich verdränge gerne, dass wir uns wieder im Kalten Krieg befinden.
Gegen 19 Uhr gehen wir gemeinsam in die Kantine und danach mache ich mich auf den Weg ins Büro, auf der Suche nach Neuigkeiten. Es sollte bis 23 Uhr besetzt sein, ist es aber nicht. Daher beschließe ich um 21 Uhr, mich auf den Nachhauseweg zu machen, und nehme mir dabei wieder Zeit.
Mal sehen, was der folgende Tag bringt.