Was habe ich mich auf diese Olympischen Spiele gefreut: Angefangen mit der Nachricht, überhaupt genommen zu werden, der Erkenntnis, einen interessanteren Posten als Sitzplatzzuweiser zu haben, bis zur Gewissheit, die Ehre zu haben, ein Olympisches Team betreuen zu dürfen. Natürlich war ich mir bewusst, dass meine Rolle begrenzt sein würde.

Allein wenn man bedenkt, dass meine gesamte Vorbereitung das Ansehen ein paar Stunden Filmchen umfasste und ein Seminar, das eher einem Motivationskurs glich.

Natürlich fehlen mir mit über fünfzig Jahren vielleicht die Flexibilität, Spontanität und Aufnahmevermögen eines Mittzwanzigers. Und natürlich treffen hier auch Menschen aufeinander, die mal besser, mal schlechter miteinander können. Aber dass mein größter Lichtblick einmal sein könnte, dass ich die Hälfte meiner Zeit fast erreicht habe, ist ein eher trauriges Resümee.

Die großen Olympischen Komitees wie Deutschland, Frankreich und die USA kommen zu diesen Großveranstaltungen vorbereitet, mit einem riesigen Team und einem Plan. Da sind die Abläufe klar, jeder weiß, was zu tun ist, und jeder hat sein Resort, um das er sich kümmert. Und da gibt es die kleinen Teams. Ich weiß nicht, ob es an denen liegt; weil sie generell unvorbereitet antanzen, oder am Veranstalter. Mehrere Gespräche mit Volontairen kleinerer Teams lassen Ersteres vermuten.

Seit meinem ersten Tag mit den Bahamas habe ich versucht, dem Assistenten der Teamchefin zu vermitteln, dass mein Wissen und mein Handlungsspielraum mehr als begrenzt sind. So wurde mir selbst die Möglichkeit, mich an den Schaltstellen zu informieren, vorenthalten, da dort nur mit der Teamleitung kommuniziert wird und eben nicht mit mir. Am Samstag fragte mich der Assistent wegen der Tickets für die Angehörigen der Sportler und ich sagte ihm, an wen er sich wenden müsse. Soviel habe ich mittlerweile mitbekommen. Er entgegnete lediglich, dass er mich fragen würde und sonst niemanden, was an Ignoranz kaum noch zu überbieten ist. Für jedes Thema gibt es Anlaufstellen, an denen man auf mehr oder weniger gut vorbereitetes Personal trifft, welches sich seit Jahren auf die Spiele vorbereitet hat. Dass es sich bei mir um einen uninformierten Ehrenamtlichen handelt, den man mit kleineren Aufgaben betrauen kann, wie ein Teammitglied zu seiner Unterkunft zu begleiten oder Dinge zu holen, und nicht um ein wandelndes Lexikon, das über alle Abläufe Bescheid weiß, wurde zunächst als Inkompetenz meinerseits interpretiert. Die eigene Inkompetenz lässt sich am besten durch arrogantes Auftreten überspielen. Inzwischen wird einigen von uns der Zugang zu den heiligen Hallen des NOC-Centers gewährt, da diese Probleme bei den Verantwortlichen aufgefallen sind.

Leider bin ich zudem noch jemand, der versucht, es allen recht zu machen. So sollte ich als Fahrer für die Spieler fungieren und diese zu den Austragungsorten bringen.

Vorweg: Ich bin eigentlich kein ungeübter Fahrer. Habe zirka 800.000 Kilometer auf dem Buckel und bin durchaus schon Kleinbusse und kleine Lastwagen gefahren. Auch über größere Distanzen. Ich fand mich in einem Elektro- und somit Automatikbus in einer der engsten Hochgaragen wieder, den man sich nur vorstellen kann. Zudem saßen zwei Fahrlehrer in Form des Teamchefassistenten und des Teamarztes im Wagen, die ständig auf mich einredeten. Die Abstandskanten der Kurvenbuchten waren nicht abgerundet, wie sonst üblich, sondern messerscharf, so dass ich beim Rangieren einen Reifen zerstörte, der nach einem Kilometer Fahrt platzte. Hätte man mir die Möglichkeit gegeben, auf einem normalen Parkplatz und einer ruhigen Strecke eine halbe Stunde zu üben, wäre alles in bester Ordnung gewesen. So aber, war die Katastrophe vorprogrammiert. Wie der Pannendienst mir später lachend erzählte, wäre er am Vortag 6-mal ausgerückt, um an der Hochgarage den Reifen zu tauschen. Die Bahamas und ich sind uns einig, dass ich kein weiteres Fahrzeug führen werde. Für die Paralympics halte ich mir diese Option allerdings weiterhin offen, sollten die Rahmenbedingungen stimmen.

Während ich drei Stunden am Straßenrand auf den Pannendienst wartete, erhielte ich eine SMS vom Veranstalter, die mich an meine Teilnahme zur Vorbereitung der Eröffnungsfeier erinnern sollte. Natürlich konnte ich diesen Termin nicht wahrnehmen. Schließlich war ich inzwischen alleine bei dem Wagen, der mitten auf der Straße stand. Und natürlich hatte ich zuvor nie eine E-Mail erhalten, die dieses Meeting bereits Tage zuvor ankündigte. Ein Phänomen, das mich seit Beginn der Spiele begleitet und vermutlich an einem SMTP-Filter liegt, der nur bekannte Domains durchlässt. Meine Bitte, doch einfach eine andere Adresse von mir zu nehmen (ich habe zum Beispiel auch eine Gmail-Adresse), konnte man nicht nachkommen, da der Server dies nicht zulässt. Hier wird das System aus Sicherheitsgründen unflexibel und ich hätte gerne an der Eröffnungszeremonie teilgenommen, anstatt diese am Fernseher zu verfolgen.

Appropos unflexibel. Gestern wollte man mir nach einem freien Tag den Zugang zum Dorf verweigern, da ich die Höchststundenzahl überschritten hätte. Erst als ich die Korrespondenz zwischen meinem Team, den Verantwortlichen der NOC-Assistenten und mir vorlegte, gewährte man mir gnädigerweise den Einlass.

Ich könnte jetzt auch über Klimaanlagen erzählen, die in nahezu allen Büroräumen ausgefallen sind. Von einem in mehreren Gebäuden nicht funktionierenden Wifi-Netz und Aufzügen, die einige Zentimeter hinabfallen oder seit Beginn der Spiele gar nicht funktionieren. Gerade letzteres sollte mit Blick auf die Paralympics dringend behoben werden.

Einen positiven Aspekt hat das Ganze: Am Anfang meiner Mission habe ich eine kurze Hose wieder beiseitegelegt, da sie mir zu eng geworden war. Jetzt kann ich nach 20–30 Kilometern täglich sie wieder anziehen, ohne mich hineinzuzwängen. Es ist schade, aber mein größter Lichtblick ist, dass ich bald Halbzeit haben werde und mich aus Prinzip durchbeißen möchte. Geht's nicht, dann muss ich auch das akzeptieren. Die Sache mit dem Tattoo vergessen wir aber wieder. Die letzten Wochen waren wirklich nicht so toll, als dass ich den Rest meines Lebens täglich an Olympia 2024 erinnert werden muss.

 

Bücher

  • Das Türkenhaus

    Deutschland im Herbst 1988. Der siebzehnjährige Christian leidet unter hypnopompen Halluzinationen. Seit dem Tod seiner ersten großen Liebe weicht ihm seine Fantasiefreundin Anna aus Kindheitstagen nicht mehr von der Seite. Sein behandelnder Psychologe erwägt, Christian aufgrund selbstverletzendem Verhaltens in eine psychiatrische Klinik zu überstellen.

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  • Lord ohne Filter

    Bei einem Spaziergang mit seinem Hund lernt der dreizehnjährige Oliver die gleichaltrige Ines kennen. Oliver bietet Ines eine Zigarette an, die er seiner Mutter zuvor stibitzte. Da er den leichten Zigaretten die Filter abbricht, wird das Rauchen von Lord ohne Filter zu Ines und Olivers Spezifikum. Doch es gelingt Ines und Oliver in den folgenden Jahren nicht, ein Paar zu werden.

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  • Die Lopare

    Über 250 Jahre ist es her, dass die Raumschiffe der Internationalen Raumflotte der Erde nach dem großen Krieg den Schritt wagten und in die Weiten des Weltalls aufbrachen, da sie im Sonnensystem keine Perspektive für sich sahen. Nachdem die Erde und ihre Kolonien im Sonnensystem sich von den Folgen des Konfliktes erhohlten und über überschüssige Ressourcen verfügen, bricht eine wissenschaftliche Flotte auf, um die nahen Sternensysteme zu erkunden.

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